Es schreibt: Milan Hlavačka
(22. 10. 2024)Der Werdegang von Richard Dotzauer wurde von Petr Valenta als historische Geschichte eines der führenden liberalen deutschsprachigen Unternehmer und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens konzipiert, der zunächst das Geschäft seines Schwiegervaters aus der Vormärz-Zeit zu einem modernen Großhandelsunternehmen in Prag ausbaute und später nicht nur ein prominenter Indigo- und Zuckerhändler, sondern auch Aktionär und Vorstandsmitglied im Bankwesen, im Maschinenbau und in der Textilindustrie wurde. Zu seiner Zeit war Richard Dotzauer ein wichtiger Förderer von Künstlern und Initiator humanitärer Hilfsprojekte, insbesondere in seiner Heimatstadt Graslitz. Gleichzeitig war er langjähriges Mitglied des Deutschen Kasinos und in den Jahren 1874–1884 der letzte „deutsche“ Vorsitzende der Handels- und Gewerbekammer in Prag, deren Übernahme durch Tschechen er buchstäblich beweinte und bis zu seinem Tod als das größte Unrecht seines Lebens empfand. Er war auch Mitglied des Prager Stadtältestenrates, Abgeordneter im Landtag (wo er freundschaftliche Beziehungen pflegte, insbesondere zum Rechtsanwalt Franz Schmeykal und der Vorsitzender der Partei des verfassungstreuen Großgrundbesitzes in Böhmen war). In jedem Fall war Richard Dotzauer ein selbstbewusster, wohlhabender Prager Deutscher, der sich auch beim Besuch des Kaisers in Prag im Juni 1864 nur von seiner nationalliberalen Devise „Deutschundfrei!“ leiten ließ, als er auf seinem Haus in der Hybernská-Straße die deutsche Trikolore hisste, nicht die Reichsflagge.
Auf Dotzauers Persönlichkeit wandte Petr Valenta Pierre Bordieus Konzept der Verflechtung von wirtschaftlichem, sozialem und kulturellem bzw. symbolischem Kapital an, das zur Grundlage von Dotzauers unternehmerischem Erfolg in der hochliberalen Ära wurde. In Dotzauers Leben spielten soziale Netzwerke eine sehr wichtige Rolle und halfen den deutschen Liberalen, einen großen sozialen Einfluss in der überwiegend tschechisch sprachigen Landeshauptstadt zu erhalten. Petr Valenta stellt diese Taktik in den Kontext des Selbstverständnisses der Deutschliberalen als ideale Vertreter einer neuen freien Bürgergesellschaft (im Gegensatz zu den nationalkonservativen Tschechen) sowie ihrer völligen Identifikation mit dem liberalen konstitutionellen Österreich (ab 1867 Vorlitauen), das sie ihrer Ansicht nach gegen den Willen der vom „feudalen“ historischen Adel getragenen tschechischen politischen Vertretung mitgestaltet haben.
Was hat Richard Dotzauer mit dem Unternehmen der jüdischen Familie Benies gemeinsam, abgesehen von seiner Erziehung und Bildung in der deutschsprachigen Kultur? Die einfachste und direkteste Antwort ist, dass es sich um Zucker handelte, oder besser gesagt um den Verkauf von Zucker, einer Handelsware, die viele Geschäftsleute der damaligen Zeit reich gemacht hat. Methodologisch gesehen geht es in beiden Monographien natürlich um die Suche nach den Wurzeln des modernen Unternehmertums in Böhmen, diesmal mit dem Schwerpunkt auf der deutschsprachigen Elite, die hier in vielen Bereichen der Wirtschaft eine dominante Rolle spielte. Ferner geht es um die Beschreibung des sozialen Aufstiegs (im Oktober 1866 verlieh der Kaiser Dotzauer den Orden der Eisernen Krone dritter Klasse, auf dessen Grundlage sich Dotzauer 1867 um die Ritterwürde bewarb) und die Unterstützung der sozialen Aktivitäten seiner Stammesgenossen (die im Falle der Dotzauer- und Benies-Familie außergewöhnlich waren).
Die Benies waren im Bankwesen tätig, da sie Aktionäre der Anglo-Österreichischen und später der Anglo-Tschechoslowakischen Bank waren, sie waren am Bau lokaler Eisenbahnen in Böhmen und Ungarn beteiligt, auf dem Großgrundbesitz in Klecany und insbesondere im Falle mehrerer Unternehmen in Litol bei Lysá nad Labem und in Rosice bei Pardubice erlebten sie die für die Zuckerindustrie besten Jahre. Dank der Heiratspolitik beteiligten sich die Familienmitglieder auch an der Herausgabe der bedeutenden liberalen deutschen Zwischenkriegszeitung Prager Tagblatt, deren Eigentümer Wilhelm Mercy war, und nach 1933 beteiligten sie sich an der Rettung vieler deutscher antifaschistischer Intellektueller. Nicht zuletzt nahmen sie als Angehörige der tschechoslowakischen Auslandsarmee aktiv an den Kämpfen gegen die Wehrmacht an der Westfront teil und bezahlten ihren Patriotismus mit ihrem Leben. Auch dies half ihnen nach 1945 nicht und sie verloren ihr Eigentum in der wiederhergestellten Tschechoslowakei ohne Entschädigung.
Beiden Monographien ist eine gründliche historische Arbeit gemeinsam, die sich sowohl auf Archivrecherchen als auch auf konzeptionelle Überlegungen stützt, die zwar von ausländischen Vorbildern beeinflusst sind, aber große innovative Überschneidungen aufweisen, die die unternehmerische Atmosphäre der Böhmischen Länder in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und – im Fall der Benies – auch das tschechoslowakische Wirtschaftsumfeld der 1920er und 1930er Jahre treffend charakterisieren. Petr Valenta greift auch auf Kocks Konzept der Entstehung der Zivilgesellschaft und die Typologie des kapitalistischen Unternehmers zurück. Im Gegensatz dazu wurde im Fall der Unternehmerfamilie Benies das Konzept der Auslöschung der Erinnerung an die Unternehmerelite herangezogen (infolge der Nationalisierung und Verstaatlichung ihres Eigentums und der bewussten Auslöschung der Rolle (aller) Unternehmer aus der historischen Erzählung).
Grundlegende Themen beider Unternehmerbiographien sind sicherlich die Herkunft des Kapitals, die soziale Ausgangsposition des Unternehmers, familiäre Bindungen, Eigenleistung und mentale Voraussetzungen und im Falle jüdischer Unternehmer auch die schmerzliche Wahrnehmung der Grenzen des Wirtschaftsliberalismus und eine Art von Aufdeckung mancher der Öffentlichkeit verborgenen Finanztätigkeiten, die Juden selbst im deklarierten, aber oft unerfüllten emanzipatorischen liberalen Umfeld der späten Habsburgermonarchie verwenden mussten. Hierzu gehörten z. B. versteckte Börsengeschäfte für „christliche“ Aktionäre (z. B. der Ankauf von Aktien der Tschechischen Handelsbahnen von Jan Muzika für die französischen Aktionäre der Österreichischen Staatseisenbahngesellschaft durch Michel Benies). Ohne diese „Entdeckungen“ wäre es unmöglich, die spätere Bautätigkeit dieser riesigen Eisenbahngesellschaft in der Polabí-Region zu erklären, die z. B. Ing. Eduard Bazika in seinen Memoiren beschrieben hat, ohne dass er jedoch den wahren Hintergrund kannte. In diesem Kontext lassen sich auch die „plötzlichen“ Ehekrisen in jüdischen Familien deuten, die nach der Gründung der Tschechoslowakei 1918 ausbrachen und von den Ehefrauen der Geschäftsleute initiiert wurden, sicherlich als Folge einer grundlegenden Änderung des Konzepts des Eherechts.
Die Quellenbasis für die Erstellung beider Monografien war jedoch völlig unterschiedlich. Petr Valenta konnte sich auf Dotzauers authentische Memoiren stützen, die in der persönlichen Sammlung von Richard Dotzauer im Staatlichen Bezirksarchiv in Sokolov (Státní okresní archiv Sokolov), das sich in Jindřichovice befindet, aufbewahrt werden und den Einblick in seine Gedankenwelt und in den konfliktreichen Alltag in Prag geben. Die Familie Benies hinterließ in dieser Hinsicht jedoch nichts. Umso herausfordernder war die Suche nach anderen „indirekten“ Quellen (Finanzjahrbücher „Compass“, Adressbücher, Statistiken, Unternehmensregister und schließlich die Zusammenarbeit mit Nicolas Benies), bei der Interpretation und Suche nach Zusammenhängen war die Zusammenarbeit mehrerer (befreundeter) Forscher erforderlich. Pavel Dufek ist Experte für Bodenreform und Restitutionsfragen ehemaliger Großgrundbesitzer, Zdenko Maršálek für die militärischen Aktivitäten der Benies während des Zweiten Weltkriegs und Michal Novotný für das Zuckerunternehmen der Benies in der Polabí-Region und in Klecany bei Prag, wobei ihm die Monographien von Dudek über die Entwicklung der tschechischen Zuckerindustrie im 19. und 20. Jahrhundert sicherlich die Arbeit erleichtert haben.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass eines der hier rezensierten Werke, das auf die 2014 am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Philosophischen Fakultät der Karls-Universität (Ústav hospodářských a sociálních dějin FF UK) verteidigte Dissertation zurückgreift, eine gelungene Erkundung des Umfelds der deutschsprachigen gesellschaftlichen Eliten Prags darstellt, die es uns ermöglicht, den konkreten Prozess der Entstehung der modernen Zivilgesellschaft, den Aufstieg des kapitalistischen Wirtschaftsliberalismus und schließlich den Sieg des integralen Nationalismus in den Böhmischen Ländern zu verstehen. Die zweite Publikation wiederum gibt einen sehr konkreten Einblick in den bemerkenswerten sozialen und wirtschaftlichen Aufstieg der jüdischen Kleinhändler aus Galizien, der Familie Benies, zu der damaligen Millionärselite, die einen entscheidenden Einfluss auf die Wirtschaft und Politik der späten Habsburgermonarchie und der Tschechoslowakei der Zwischenkriegszeit hatte und – wie die Autoren selbst auf dem Umschlag der Monographie betonen – sich „mehr oder weniger [als] ein Lehrbuchbeispiel für die Möglichkeiten [verstehen lässt], die sich fähigen Individuen durch die modernisierenden Veränderungen der mitteleuropäischen Gesellschaft im 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts“ boten. Es soll noch erwähnt werden, dass die Leser, die an anspruchsvollen, auf jahrelanger systematischer Forschung basierenden Wirtschaftsbiographien interessiert sind, auch sicher die sorgfältige redaktionelle Arbeit und den interessanten und durchaus originellen ikonographischen Anhang schätzen werden.
Übersetzung: Lukáš Motyčka
Petr Valenta: Richard Dotzauer. Podnikatelský příběh z doby počátků kapitalismu v Čechách. Praha: Academia; Masarykův ústav a archiv AV ČR, v. v. i., 2023, 339 s.
Pavel Dufek / Zdenko Maršálek / Michal Novotný: Železnice, cukr, noviny a odvaha. Osudy Beniesů v Čechách i jinde. Praha: NLN, s.r.o.; Národní technické muzeum, 2023, 339 s.